Michael Georg Conrad
Münchner Theater
(1887)
Die Kunststadt an der Isar hat neben bierologischen, theologischen und
anderen Vorzügen auch den, das undankbarste und zugleich anspruchsvollste
Theaterpublikum zu besitzen. So ein echter theaterlustiger Bieromane stellt
an die Schaubühne die nämliche Anforderung, die er an seine Köchin
zu stellen gewohnt ist von uralters her: um möglichst wenig Geld die
möglichst große Portion! Nur ist er gegen die Köchin insofern
rücksichtsvoll, als er nicht auf Abwechslung in der Speisekarte dringt:
Kalbsbraten mit Kartoffelsalat, Kalbshaxe, »Geselchtes« mit
Sauerkraut - damit füttert er sich ein gemeines Jahr lang ganz gemütlich
durch, während er an die Schaubühne die Forderung stellt, ihm
womöglich jeden Abend ein neues prächtiges Stück zu servieren
und zwar zu einem Preis, für den ein gebildeter Kulturmensch in einem
anständigen Restaurant kaum ein Abendessen bekommt. Und dabei soll
die Bühnenkunst florieren und das Theater Geschäfte machen! Dazu
kommt noch, daß seit dem Tode des vielbetrauerten, unvergeßlichen
Königs von den dirigierenden Finanzgenies die Losung ausgegeben wird:
Sparen, sparen, sparen! Nun stehen wir in der Bieromanischen Kunststadt
vor dem wunderschönen Problem: Sparkunst und Theaterkunst aufs innigste
zu vereinen, d.h. die Quadratur des Zirkels zu verwirklichen. Wir werden
uns nächstens über diesen interessanten Fall mit aller Offenheit
und Ausführlichkeit äußern. Heute wollen wir nur den theatralischen
Sparvirtuosen den Rat geben, sich einmal Rezept und Wirkung des berühmten
billigen Kartoffelgastmahls zu überlegen; da kommen nämlich zwölf
Gänge, jeder die Kartoffel in anderer Zurichtung bietend, und zum
Schlusse werden, den elend getäuschten Magen wieder ein wenig in Humor
zu bringen, Konfekt und Schnäpse aufgewertet, die gleichfalls aus
herrlich billigen Kartoffeln hergestellt sind. Die Wirkung aber ist die:
die virtuose kulinarische Kartoffelkomödie der ausgezeichneten Sparköche
lockt nur noch die elendsten Hungerleider - und wer ein wirklich menschlich
vornehmes Speisebedürfnis zu befriedigen hat, flieht dieses Gastmahl
auf Nimmerwiedersehen. Damit ist auch der Bankrott der Sparfirma besiegelt.
Wir können heute von den Münchner Theatern noch einige erfolgreiche,
prächtig inszenierte, mit ersten Kunstkräften wenigstens in den
Hauptrollen besetzte Aufführungen vermelden. Das Hoftheater gab zu
Webers Säkularfeier den Freischütz in zum Teil neuer glänzender
Ausstattung, dann Euryanthe und Oberon; letzteres ließ indes gesanglich
in der Rolle Hüon's (Nachbauer) zu wünschen übrig. Im Schauspiele
schwelgte man in Shakespeareschen Genialitäten. Das Gärtnertheater
brachte den »Stabstrompeter« und »Prinzessin Goldhaar«
als erfolgreiche Novitäten. Das ist im fröhlichen Dezember zwar
nicht übermäßig viel Neues für die wirklichen Theaterfreunde
in Biermanien, aber wenn sich einmal die Kunstsparfirma als Bühnenleiterin
und Theatervergnügen-Verschleißerin etabliert haben wird - gehorsamer
Diener! - dann kann es noch viel kläglicher kommen.
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